Überblick zu Diagnose

Was bedeutet die Diagnose einer Demenz?

Die Diagnose Demenz weist auf eine chronische Erkrankung des Gehirns hin, die den Symptomen und Beschwerden der betroffenen Person zugrunde liegt. Sie ist entscheidend für eine angemessene Behandlung und den Zugang zu finanziellen Unterstützungsleistungen wie Pflegegeld. Für die betroffene Person und ihr soziales Umfeld bedeutet die Diagnose eine einschneidende Veränderung, die sich auf die gegenwärtige und zukünftige Lebensführung auswirkt. Die Mitteilung der Diagnose erfordert daher Einfühlungsvermögen und Sensibilität sowie die Bereitstellung von Informationen über Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten für die langfristige Lebensplanung.

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Die Diagnose Demenz hat Auswirkungen auf das Leben der betroffenen Person und ihres sozialen Umfelds.

Wie erleben Menschen mit Demenz ihre Diagnose?

Für Menschen mit Demenz ist die Diagnose ein bedeutender Einschnitt. Sie erhalten Gewissheit über ihre fortschreitende Hirnerkrankung, die zwar nicht heilbar ist, aber durch Behandlung und Unterstützung verlangsamt werden kann. Die Auseinandersetzung mit der Diagnose ist ein Prozess, der Unterstützung erfordern kann. Viele Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen wünschen sich Informationen, um ihre Zukunft aktiv planen zu können. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass nur etwa die Hälfte der Menschen mit Demenz tatsächlich diagnostiziert wird.

Warum ist eine Diagnose wichtig?

Die Diagnose ist aus verschiedenen Gründen wichtig. Sie erklärt Anzeichen oder Beobachtungen, die den Betroffenen oder dessen Bezugspersonen beunruhigt haben. Zu wissen, dass Veränderungen der kognitiven Fähigkeiten, des Verhaltens oder der Persönlichkeit auf eine Krankheit hinweisen, kann eine Erleichterung sein.

Einige Ursachen von Demenz können rückgängig gemacht werden, wenn sie frühzeitig erkannt und behandelt werden, z. B. Vitamin- oder Hormonmangel, Normaldruckhydrozephalus oder Hirnblutungen. Andere Gesundheitsprobleme, die den Verlauf einer Demenz verschlimmern können, wie Depressionen, Einsamkeit, Bluthochdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörungen oder Herzerkrankungen, sind behandelbar.

Die Diagnose dient als Grundlage für therapeutische und unterstützende Maßnahmen sowie für individuelle Behandlungspläne. Daher ist eine umfassende Diagnostik notwendig, die nicht nur Symptome erfasst, sondern auch individuelle Bedürfnisse, Vorlieben, Risiken und Unterstützungsmöglichkeiten berücksichtigt. Eine frühzeitige Diagnose gibt den Betroffenen und ihren Bezugspersonen Zeit, sich auf die Zukunft vorzubereiten und Pläne zu schmieden.

Die Diagnose ermöglicht auch den Zugang zu sozialen und finanziellen Hilfen wie Kranken- oder Sozialversicherungsleistungen sowie Beratung und Hilfe. Auch wenn aktuell keine Unterstützung benötigt wird, ist es wichtig zu wissen, welche Hilfen zur Verfügung stehen.

Wer stellt die Diagnose?

In den meisten Fällen sind Allgemeinmediziner:innen die ersten Ansprechpartner für Personen, bei denen der Verdacht auf Demenz besteht. Sie führen einfache Tests und Fragebögen durch, um eine erste Einschätzung der kognitiven Fähigkeiten, der Alltagskompetenz und des Verhaltens zu erhalten. Allgemeinärzte und - ärztinnen sind auch in der Lage, körperliche Ursachen oder Begleitumstände von Demenz festzustellen oder auszuschließen.

Spezialist:innen wie Neurolog:innen, Psychiater:innen, Psycholog:innen und Geriater:innen sowie Spezialambulanzen wie Gedächtnisambulanzen und Memory-Kliniken verwenden aufwendigere diagnostische Verfahren und Techniken wie neuropsychologische Tests, Untersuchungen der Hirnflüssigkeit und bildgebende Verfahren. Dadurch ist es möglich, frühe Stadien der Demenz zu erkennen und zwischen verschiedenen Ursachen zu unterscheiden. Spezialist:innen sind auch wichtig, um die Diagnose im Verlauf zu überprüfen.

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Alle Berufsgruppen können zur Diagnose beitragen.

Der Beitrag nicht-ärztlicher Berufsgruppen zur Diagnose der Demenz

Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen

Sozialpädagog:innen

Ergotherapeut:innen

  • Sorgfältige und langfristige Beobachtung von Leistung und Verhalten
  • Durchführung von Tests und Interviews
  • Erstberatung von Menschen mit Demenz und ihren An- und Zugehörigen über die Diagnose
  • Einschätzung der kognitiven Leistungsfähigkeit im Alltag (Informationen verstehen, Entscheidungen treffen, Kommunikation)
  • Die Auswirkungen der Symptome auf Alltagsaktivitäten oder auf die Berufstätigkeit feststellen
  • Erfassung der Bedarfe einer Person im Hinblick auf Versorgung und Unterstützung
  • Beurteilung der sozialen Beziehungen
  • Einschätzung individueller Stärken und Schwächen.
  • Erfassung der häuslichen Umgebungsbedingungen einschließlich möglicher Sicherheitsrisiken
  • Notwendigkeit einer Umgebungsanpassung
  • Definition individueller Behandlungsziele
  • Anwendung von technischen Hilfen

Wie wird die Diagnose gestellt?

Die Diagnose einer Demenz beginnt in der Regel nicht in der Arztpraxis. Oft sind es Familienangehörige, Freund:innen oder Kolleg:innen, die Veränderungen an einer Person bemerken, aber auch die Betroffenen selbst sprechen immer häufiger über ihre Schwächen. Sensibilisierung für Demenz und Entstigmatisierung sind entscheidend für eine frühzeitige Diagnose. Der Diagnoseprozess lässt sich in vier Schritte unterteilen.

Schritt 1: Kognitive Veränderungen werden bemerkt, entweder durch die betroffene Person selbst oder durch ihr soziales Umfeld.

Schritt 2: Die Veränderungen werden durch Interviews und kognitive Tests bestätigt.

Schritt 3: Die Ursachen werden durch körperliche Untersuchungen, Labortests, Untersuchung des Nervenwassers (Lumbalpunktion), bildgebende Verfahren und manchmal genetische Tests ermittelt.

Schritt 4: Es werden Ansätze für die Behandlung gefunden, einschließlich medizinischer und nicht-medizinischer Therapieoptionen, Unterstützung und Anpassung des Lebensumfelds unter Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse, Präferenzen, Ressourcen und verfügbaren Hilfen.

Der Ablauf der Diagnose

Schritt 1:

Veränderungen bemerken

Symptome können in verschiedenen Bereichen auftreten. 

Symptombereich

Beispiel

Kognitive Fähigkeiten

Gedächtnis: Wiederholte Fragen, Vergessen von Ereignissen, Orientierungsprobleme.

Exekutive Funktionen: Schwierigkeiten beim Entscheiden und Planen.

Visuell-räumliche Fähigkeiten: Probleme beim Erkennen von Gegenständen und bei der Kleiderwahl.

Sprache: Schwierigkeiten beim Sprechen und Verstehen.

Alltagstätigkeiten

Schwierigkeiten bei der Organisation und Erledigung alltäglicher Aufgaben.

Verhalten und Persönlichkeit

Stimmungsschwankungen, sozialer Rückzug, Aggressivität

Beispiele für solche Veränderungen sind das Wiederholen von Fragen, das Vergessen von Ereignissen oder Schwierigkeiten bei der Planung von Aufgaben. Es ist wichtig, solche Symptome zu erkennen und zu melden.

Schritt 2:

Die Veränderungen mit Hilfe von Tests und Interviews bestätigen

Es ist wichtig, Veränderungen durch Tests und Gespräche zu bestätigen. Kognitive Tests sind notwendig, um das Ausmaß und das Muster der Beeinträchtigung objektiv zu erfassen. Hausärzte können einfache Skalen verwenden, aber für eine zuverlässige Diagnose können ausführlichere neuropsychologische Tests bei Fachärzten oder in Gedächtniskliniken erforderlich sein. Zuverlässige Testinstrumente sind verfügbar.

Die kognitive Untersuchung sollte zeigen, dass die Leistung in einem oder mehreren Bereichen unter den Erwartungen für das Alter, das Geschlecht und das Bildungsniveau liegt. Bei wiederholten Tests sollte eine Verschlechterung erkennbar sein.

Kognitive Tests

Art des Tests

Erläuterung

Einfache und kurze Skalen

  • Einsatz in der Praxis von Hausarzt/Hausärztin.
  • Kann von geschultem Personal durchgeführt werden.
  • Bieten einen Überblick über die kognitive Leistungsfähigkeit.
  • Verfügt über Grenzwerte zur Unterscheidung zwischen normaler und anormaler Leistung.
  • Nicht geeignet zur Untersuchung einzelner kognitiver Funktionen.
  • Wenig sensitiv für leichte Beeinträchtigungen.

Neuropsychologische Tests und Testbatterien

  • Eingesetzt von Fachmediziner:innen, Gedächtniskliniken und Forschungseinrichtungen.
  • Durchgeführt und ausgewertet von (Neuro-)Psycholog:innen.
  • Kann eine Stunde und länger dauern.
  • Prüft einzelne kognitive Funktionen.
  • Vergleicht die Leistung mit Alters-, Geschlechts- und Bildungsnormen.
  • Ermöglicht die Erstellung von Leistungsprofilen zur Unterscheidung verschiedener Demenzursachen.
  • Sensitiv für leichte Beeinträchtigung.

Interviews

Thema

Erläuterung

Beginn und Verlauf der Symptome

  • Eine Demenz entwickelt sich typischerweise allmählich über Monate bis Jahre.
  • Die Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten sollte durch Beobachtung der Person oder durch den Bericht einer vertrauten Bezugsperson bestätigt werden.

Auswirkungen auf Alltagstätigkeiten

  • Die Fähigkeit, die Aktivitäten des täglichen Lebens zu bewältigen, sollte von der Person und einer gut informierten Bezugsperson beurteilt werden.
  • Dies ist wichtig, um festzustellen, ob sich die kognitive Beeinträchtigung negativ auf die täglichen Aktivitäten oder die Arbeit auswirkt und um den Schweregrad der Demenz zu bestimmen.
  • Es sollte auch festgestellt werden, ob die Fähigkeiten im Vergleich zu einem früheren Niveau abgenommen haben.

Art und Muster der Symptome

  • Die Erfassung des Verlaufs und des Musters der Symptome ist entscheidend, um Demenz von anderen Zuständen wie Depression oder Delirium zu unterscheiden, die sofortiges Handeln erfordern.

Schritt 3:

Ermittlung der Ursache(n)

Nachdem die Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten, der Alltagsfunktionen und/oder des Verhaltens bestätigt wurde, muss die zugrunde liegende Ursache oder die Kombination von Ursachen ermittelt werden. Manchmal können Hinweise aus der Krankengeschichte und den betroffenen kognitiven Bereichen helfen. Die körperliche Untersuchung kann auf neurologische Probleme hinweisen und andere körperliche Faktoren wie Hör- oder Sehprobleme aufdecken. Standard-Laboruntersuchungen sind wichtig, um Stoffwechselstörungen, Infektionen oder Vitamin- und Hormonmangel auszuschließen oder festzustellen. Die Analyse der Rückenmarksflüssigkeit kann zur Messung spezieller Gehirnproteine und zur Unterscheidung der Alzheimer-Krankheit von anderen Erkrankungen dienen. Bildgebende Verfahren wie MRT und PET ermöglichen die Untersuchung des Gehirns, während in seltenen Fällen genetische Tests durchgeführt werden, um erbliche Ursachen zu finden.

Informationsquellen und diagnostische Methoden

Setting

Methoden

Hinweise auf

Allgemeinmedizin

  • Körperliche Untersuchung
  • Elektrokardiogramm (EKG)
  • Röntgenaufnahme des Brustkorbs
  • Laboruntersuchungen
  • Überprüfung der Medikamentenliste
  • Drogenanamnese
  • Schlaganfall
  • Parkinson-Krankheit
  • Herz- und Lungenerkrankungen
  • Infektionen
  • Vitamin- oder Hormonmangel
  • Wechselwirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten
  • Drogen- oder Alkoholmissbrauch

Neurolog:in, Psychiater:in, Geriater:in, Memory-Klinik

  • Bildgebende Verfahren.
  • Untersuchung der Hirnrückenmarksflüssigkeit (Lumbalpunktion)
  • Genetische Tests
  • Hirntumore
  • Hirnblutungen
  • Schrumpfung von Hirnabschnitten
  • Entzündungen des Nervensystems
  • Indikatoren für Neurodegeneration (“Biomarker”)
  • Seltene genetische Mutationen
  • Genetische Risikofaktoren (z. B. ApoE4)

Schritt 4:

Festlegung der Behandlungsziele

Der letzte Schritt der Diagnose besteht darin, die veränderbaren individuellen Umstände zu identifizieren, die als Grundlage für einen individuellen Behandlungsplan dienen. Dieser Plan kann pharmakologische, nicht-pharmakologische oder umgebungsbezogene Maßnahmen umfassen. Ziel ist es, die Lebensqualität der Person mit Demenz zu verbessern, Risiken zu reduzieren, Krisen vorzubeugen und das Unterstützungsnetzwerk zu stärken. 

Ansatzpunkt

Beispiel

Individueller Bedarf

  • Unzureichende Aktivität und Teilhabe
  • Langeweile
  • Einsamkeit, Isolation

Risiken

  • Schlechte Versorgung, ungenügendes Unterstützungsnetz
  • Allein lebend
  • Problematische Verhaltensweisen
  • Autofahren

Umgebungsfaktoren

  • Häusliche Gefahrenquellen
  • Mobilitätshindernisse

Zwischenmenschliche Faktoren

  • Geringe pflegerische Kompetenz der versorgenden Bezugspersonen
  • Familiäre Konflikte
  • Ungeeigneter Kommunikationsstil
  • Kinder sind mitbetroffen

Quellen und weiterführende Literatur

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